Erwerbsminderung bei Holocaustopfern: eine langzeitkatamnestische Betrachtung somatischer und psychiatrischer Diagnosen unter Berücksichtigung des Gesamtschauaspekts

T. Biermann, W. Sperling, H. Müller, P. Schütz, J. Kornhuber, U. Reulbach

In der Gruppe ehemals Holocaustgeschädigter ist die Häufigkeit psychischer und somatischer Folgeschäden erwiesenermaßen hoch. Die Bewertung der verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (vMdE) richtet sich nach der Wechselwirkung aus direkt holocaustinduzierten psychischen und somatischen Primärschäden mit später erworbenen körperlichen, psychischen und psychosozialen Einflussfaktoren.
Die Erhebung basierte auf der Auswertung sämtlicher aktenkundlich dokumentierter Angaben (Gutachten, beigefügte Krankenblattunterlagen, ärztliche Stellungnahmen, handschriftliche eidesstattliche Aufzeichnungen der Patienten). Insgesamt wurden die Gutachten von 56 Überlebenden (36 Frauen und 20 Männer) des Holocaust ausgewertet. Bei 92,3 % der Überlebenden konnte im ersten Jahr nach der Befreiung bereits eine psychiatrische Diagnose festgestellt werden. Bei einer getrennten Analyse einzelner somatischer Krankheitsbilder fällt eine signifikante Häufung von gastrointestinalen Beschwerden (Chi-Quadrat Test; χ2 = 4,0; df = 1; p = 0,046) bei Holocaustüberlebenden auf, die mit über 30 % vMdE eingestuft wurden.
Die Frage einer Verschlimmerung der psychiatrisch relevanten, verfolgungsbedingten Symptomatik unter dem Gesichtspunkt zusätzlich beeinträchtigender endogener (psychische, somatische Erkrankung) oder exogener („life events”) Faktoren steht meist im Mittelpunkt der gutachterlichen Bewertung. Die vorliegende Untersuchung ergab, dass vor allem neu erworbene somatische Erkrankungen bei ehemaligen Holocaustopfern in Beziehung zu einer Zunahme verfolgungsbedingter psychischer Beschwerden stehen.

Quelle: Thieme eJournals – Abstract

Das könnte Sie auch interessieren:

(Comments are closed)